Betreuungskraft Aysel Moncuk und Bewohner William Khoshaba fühlen sich durch gemeinsame Wurzeln im Orient verbunden.©Kursana

 
26.11.2015

Das Haus der vielen Kulturen

Im Kursana Domizil Billstedt leben derzeit Senioren aus sechs Nationen unter einem Dach.

Das hauseigene „Vokabelheft“ mit den wichtigsten Alltagsbegriffen liegt im Kursana Domizil Billstedt auf jedem Wohnbereich aus: Hier können Mitarbeiter schnell nachschlagen, was etwa „Rasieren“ oder „Tabletten“ auf Polnisch, Russisch oder Türkisch heißt. Daneben gibt es eine Liste von allen Pflegern und Hilfskräften, die eine Fremdsprache beherrschen und als Dolmetscher einspringen können. „Als multikulturelles Haus mit Bewohnern aus bis zu acht Nationen, von denen nicht alle die deutsche Sprache beherrschen, müssen wir flexibel sein und improvisieren können“, meint Direktorin Susanne von Ehren. „Für unsere Senioren mit ausländischen Wurzeln gilt im besonderen Maße, was auf alle 125 Bewohner zutrifft: Gute Pflege und Betreuung bedeutet, für alle Fälle eine individuelle Lösung zu finden.“

„Mein größtes Problem ist das Mittagessen“,  sagt Ali Pakbin (88), der seit sechs Jahren in der Senioreneinrichtung im Sonnenland lebt. Der iranische Künstler und Übersetzer ist trotz vieler Jahrzehnte in Hamburg nicht mit dem deutschen Essen warm geworden. „Ich habe mir angewöhnt, mittags im Zimmer zu bleiben und Obst zu essen“, sagt der ehemalige Musiker, der sich selbst als „eher schwierigen Menschen“ bezeichnet. „Schöne Ausflüge in die Natur mache ich hier immer mit, aber bei allen anderen Veranstaltungen bin ich sehr wählerisch.“

Auch William Khoshaba (76), der 1972 aus dem Irak nach Deutschland gekommen ist, vermisst gelegentlich sein Lieblingsgericht „Bamia“ aus Okraschoten. Doch ansonsten bezeichnet sich der ehemalige Chemiefacharbeiter und Gewerkschaftsvorsitzende als „hundert Prozent Deutsch“. „Ich bin hier im Domizil zuhause, weil ich auf alle Leute zugehe und helfe, wo ich kann“, sagt William Khoshaba, der bei den Damen des Hauses den Spitznamen „Gentleman“ trägt. Seit Betreuungskraft Aysel Moncuk (38), eine Hamburgerin mit türkischen Wurzeln, in der Senioreneinrichtung arbeitet, fühlt sich William Khoshaba noch ein Stück weit heimischer. „Sie bringt eine Herzlichkeit mit, wie wir sie im Orient pflegen“, schwärmt er. „Wir sprechen viel zusammen und können gut gemeinsam lachen.“

Multikulturell wie die Bewohner sind auch die Mitarbeiter im Domizil: Am häufigsten sind auf beiden Seiten Polen, Russen und Türken vertreten. Seit Antonio Tabatabai (38), der aus einer iranisch-griechischen Familie stammt, im vergangenen Jahr die Leitung der Sozialen Betreuung übernommen hat, findet sich die bunte Vielfalt des Hauses auch im Veranstaltungsplan der Senioreneinrichtung wieder. So drehte sich beispielsweise gerade in einer „Orientalischen Woche“ in Vorträgen, bei Festen und auf dem Speiseplan alles um die Kultur der Bewohner aus dem Iran, Irak und der Türkei.

„Ich finde solche Veranstaltungen, die das Verständnis für die vielen Kulturen im Haus verbessern, prima“, sagt Sabit Yildirim (59), dessen Eltern im Domizil leben. Besonders von der Zuneigung, die seinem dementiell erkrankten Vater im geschützten Wohnbereich der Einrichtung entgegen gebracht wird, ist der Kurde begeistert. Seine Mutter Vahide Yildirim (85) spricht genauso wie ihre Verwandte Hanim Yilmaz (85) auch nach vielen Jahren in Deutschland kein Deutsch. Durch die täglichen Besuche von Familienmitgliedern im Domizil und die liebevolle Unterstützung durch Mitarbeiterin Aysel Moncuk haben sich die beiden alten Damen mittlerweile gut eingelebt. Weder beim Essen noch bei der Pflege gibt es kulturelle Hürden zu überwinden. Nur einen größeren Aufenthaltsraum für ihre großen Familientreffen wünschen sich die Yildirims manchmal.

„Für uns Söhne war es eine Entscheidung mit schlechtem Gewissen, da es in unserer Heimat als Schande gilt, die alten Eltern nicht selbst zu betreuen. Aber so eine gute Pflege wie hier könnten wir zuhause gar nicht leisten“, sagt Semsettin Yildirim (64) und prophezeit: „Wenn meine Generation in das Alter kommt, wird es für uns schon völlig selbstverständlich sein, in ein Seniorenheim zu gehen.“

Im multikulturellen Billstedt steigt bereits seit einigen Jahren bei Senioren mit Migrationshintergrund die Nachfrage nach stationären Pflegeplätzen an. „Die erste Generation der ausländischen Mitbürger, die als Gastarbeiter nach Deutschland kam, zieht derzeit bei uns ein“, sagt Susanne von Ehren. Probleme mit „Multikulti“ hat die Direktorin im Domizil bisher nicht erlebt. „Was zählt, das ist die gute Zusammenarbeit mit den Angehörigen“, sagt sie. „Und die Praxis zeigt, dass bei kultureller Vielfalt alle nur gewinnen können.“

Zur Übersicht