Mostafa Hashemi (25), Danial Alireza (25), Hamed Kotobi (28) und Fateme Jamalzada (17, v.l.n.r.) besuchen den Deutschunterricht bei Hildegard Jeß (83) in der Kursana Residenz Hamburg. ©Kursana

 
28.06.2016

„Damen zuerst!“

Zwei Bewohner aus der Kursana Residenz Hamburg haben ein Ehrenamt übernommen und unterrichten junge Flüchtlinge in deutscher Sprache und Kultur.

Was ist ein „Haustier“? Hildegard Jeß (83) muss nicht groß überlegen, wie sie das erklären kann. „Manche Menschen in Deutschland legen sich eine Katze zu, damit sie auf ihrem Hof die Mäuse fängt“, sagt sie. „Andere halten sich ein Tier zum Schmusen. Für mich gibt es nichts Schöneres, als abends meinem Kater Kerry das Fell zu kraulen.“ Die vier jungen Flüchtlinge, die vor wenigen Monaten aus Afghanistan und dem Iran nach Hamburg gekommen sind, machen große Augen und hören der Seniorin hochkonzentriert zu. Am Ende müssen sie lachen. „Solche Haustiere gibt es in unserer Heimat nicht“, erklärt Danial Alireza (25) seiner  Lehrerin.

Seit zwei Monaten treffen sich die Bewohnerin der Kursana Residenz Hamburg und eine Handvoll junger Flüchtlinge einmal wöchentlich für eineinhalb Stunden zum Deutschunterricht in der Senioreneinrichtung. Die Grammatikübung aus dem Lehrbuch ist meist nur ein Aufhänger, aus dem sich schnell ein Gespräch über den Lebensalltag in Deutschland ergibt. „Wir gehen täglich zum Deutschunterricht in eine Schule. Hier möchten wir mehr über die Kultur erfahren“, sagt Danial Alireza, der seit sieben Monaten in der Erstaufnahme-Unterkunft an der Niendorfer Straße lebt. In Afghanistan hat der junge Mann als Englischlehrer gearbeitet, bis er wegen seiner Tätigkeit als Übersetzer für die in seiner Heimat stationierten US-Streitkräfte von den Taliban-Milizen verfolgt wurde. „Frau Jeß hat uns schon davon erzählt, dass hier die Frauen und Männer gleichberechtigt sind“, sagt der höfliche junge Mann, der sich bereits gut auf Deutsch unterhalten kann. „Gutes Benehmen in Deutschland bedeutet: Damen zuerst!“

Hildegard Jeß lag es am Herzen, dieses Ehrenamt zu übernehmen. „Es ist mein Beitrag, um den jungen Menschen zu zeigen, dass sie bei uns willkommen sind“, sagt die ehemalige Lehrerin, die an der Grundschule Burgunderweg in Niendorf unterrichtet hat. Seit einem Jahr sitzt die an Rheuma erkrankte Seniorin im Rollstuhl, doch der Kontakt zu den Flüchtlingen macht diese Einschränkung ihrer Mobilität ein Stück weit wett. „Ich erfahre so aus erster Hand vieles über die Lebensumstände der Flüchtlinge in unserem Land“, sagt sie. „Außerdem bereiten mir die Treffen viel Freude, weil meine Schützlinge das Wissen aufsaugen wie ein Schwamm.“

Auch Dr. Andreas Taubert (78), der vor einem halben Jahr aus dem badischen Mosbach in die Hamburger Seniorenresidenz gezogen ist, engagiert sich hier beim Deutschunterricht. „Es bricht mir das Herz, wenn ich im Fernsehen sehe, unter welchen Lebensumständen die Flüchtlinge in Griechenland leben“, sagt der ehemalige Internist. „Die Sprache ist der Grundstein dafür, dass die jungen Menschen hier selbst etwas aus ihrem Leben machen können.“ Dr. Taubert geht den Unterricht von der praktischen Seite an und bringt in einer Klappkiste gern Gegenstände des täglichen Lebens zum Unterricht mit. „Die jungen Menschen kommen auch mit Fragen auf mich zu und wollen etwas über Hitler oder den Fall der Mauer erfahren“, erzählt er. Manchmal gibt Andreas Taubert aber auch ganz konkrete Hilfestellung im Alltag: „Ein Teenager-Mädchen aus dem Iran wollte von mir wissen, was `du bist süß´ bedeutet. Da hat wohl ein deutscher Junge versucht, mit ihr zu flirten.“

Beide Senioren wünschen sich, dass sich mehr Menschen ihrer Generation für Flüchtlinge engagieren. „Wir Ruheständler haben doch Zeit und können die jungen Menschen als Zeitzeugen mit der Geschichte unseres Landes und dem `deutschen Wesen´ vertraut machen“, sagt Dr. Taubert. „Außerdem profitieren wir selbst vom Ehrenamt: Ich komme fröhlich aus jeder Stunde.“

Auch Hildegard Jeß hat mit ihren Schützlingen im Unterricht wieder viel gelacht. Wie jedes Mal begleitet sie die jungen Leute zum Abschied ins Foyer der Residenz. „Damen zuerst!“, ruft Danial Alireza lächelnd auf dem Weg an jeder Tür, an der er seiner Lehrerin den Vortritt lassen kann. „Sie sind alle ganz reizend“, sagt Hildegard Jeß und strahlt.

Zur Übersicht