Manchmal helfen Puppen, ein Beziehungsgeflecht zu entwirren: Therapeutin Claudia Kürzdörfer (62) bekommt durch die ehrenamtliche Beratung von Senioren viel zurück. ©Kursana

 
29.08.2016

Eine „Herz-Sprechstunde“, die Mut macht

Paar- und Familientherapeutin Claudia Kürzdörfer bietet den Senioren in der Kursana Residenz Hamburg ehrenamtlich beratende Gespräche an.

Im Café der Seniorenresidenz hat Bewohnerin Christa Müller (Name geändert) für unser Treffen mit Therapeutin Claudia Kürzdörfer einen Platz abseits ausgesucht. „Es tut mir gut, dass ich ihr mein Herz ausschütten kann. Und ich nehme viele Anregungen aus den Gesprächen mit“, sagt die 82-Jährige, die sich seit einigen Wochen regelmäßig mit der ehrenamtlich tätigen Beraterin in ihrem Appartement trifft, um sich über Probleme in ihrer Familie auszutauschen. „Aber es muss hier ja nicht jeder wissen, dass ich die Dienste von Frau Kürzdörfer in Anspruch nehme.“

Diskretion ist den Senioren wichtig, die die „Herz-Sprechstunde“ der Hamburger Paar- und Familientherapeutin in der Kursana Residenz in Niendorf aufsuchen. Die zumeist hochbetagten Bewohner gehören zu einer Generation, die ihre Kriegstraumata genauso wie persönliche Krisen ihr Leben lang mit sich allein ausgemacht hat. „Anfangs begegnen mir die Senioren meist mit Skepsis. Besonders bei Männern höre ich oft den Satz `Reden hilft nicht´“, erzählt Claudia Kürzdörfer, die ihr selbst kreiertes Ehrenamt seit drei Jahren ausübt. Damals waren ihre Kinder aus dem Haus und die Mutter gerade verstorben. „Ich hatte Kapazitäten frei und wollte gern mit der Generation meiner Mutter in Kontakt bleiben“, sagt die 62-Jährige. „Da lag es für mich nahe, das anzubieten, was ich professionell gelernt habe: Menschen dabei zu unterstützen, ein erfülltes Leben zu führen.“

Mehr als ein Dutzend Senioren hat die Therapeutin aus Sülldorf, die eine Praxis in Wedel betreibt, seither begleitet. Manchmal ging der Kontakt nicht über das erste Treffen hinaus, drei Senioren betreut sie bereits im dritten Jahr. „Im Zentrum stehen Probleme in Familie und Partnerschaft“, erzählt Claudia Kürzdörfer. „Viele Senioren sind einsam, obwohl sie Kinder haben. Oder sie sind in einer Umbruchsituation, weil der Partner verstorben ist oder von einer schwerwiegenden Krankheit wie einer Alzheimer-Diagnose betroffen ist.“ Manchmal suchen neue Bewohner mit ihr nach einer Strategie, um in der Senioreneinrichtung heimisch zu werden. Doch die meisten ziehen mit Claudia Kürzdörfer auch eine Bilanz ihres langen Lebens, thematisieren ihre Haltung zum Tod oder sprechen zum ersten Mal über ein Tabuthema wie eine Jahrzehnte zurückliegende Vergewaltigung.

 

„Natürlich rückt das Lebensende näher, wenn man in ein Seniorenheim zieht“, sagt auch Bewohnerin Christa Müller. „Deshalb sehne ich mich nach einem guten Kontakt zu meiner Familie.“ Das Verhältnis zu ihrer Tochter ist seit längerem durch Erbstreitigkeiten belastet, doch mit Claudia Kürzdörfers Unterstützung gelingt es der Witwe gerade, einen lebendigen Kontakt zu ihrer Enkeltochter aufzubauen. „Ich habe in meinem Leben leider zu oft versucht, mir Liebe durch große Geschenke zu erkaufen“, sagt sie. „Jetzt lerne ich, auch einmal meine Wünsche anzumelden.“ Die Freude über ihre Erfolge kann sie in den Gesprächen mit Claudia Kürzdörfer teilen. „Das Leben ist immer in Bewegung, in jedem Alter. Das muss man nur erkennen“, sagt die Therapeutin lächelnd. „Diese Gewissheit ist ein Geschenk, das mir die Senioren hier für mein eigenes Altern machen.“

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