Dank ihres Buches „Heimat“, das sie über ihre Jugend in Pommern geschrieben hat, können Irene Greschik (91) die schönen Erinnerungen an ihr Leben nicht verloren gehen.©Kursana

 
20.05.2017

Erinnerungen als Kraftquelle

Irene Greschik (91) hat 2003 ihre Lebensgeschichte veröffentlicht. Heute ist ihr Buch „Heimat“ für die demenziell erkrankte Bewohnerin aus der Kursana Villa Hannover eine Brücke in das Jetzt.

Im Transportnetz ihres Rollators hat Irene Greschik (91) ihr Buch „Heimat, die ich meine“ immer dabei. Fast täglich nimmt die Seniorin ihre 2003 im Selbstverlag herausgegebene Lebensgeschichte zur Hand. Und manchmal liest sie ihren Mitbewohnern in der beschützten Wohngruppe für demenziell Erkrankte der Kursana Villa Hannover auch ein Gedicht oder eine Kurzgeschichte daraus vor. „Durch den Krieg habe ich vieles verloren“, sagt Irene Greschik, die wie viele Menschen ihrer Generation am Ende des Zweiten Weltkrieges aus der Heimat flüchten musste. „Aber meine glückliche Kindheit in Pommern kann mir keiner nehmen. Von den Erinnerungen, die alle in diesem Buch stehen, zehre ich noch heute.“
Den Anstoß, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben, gab Irene Greschik vor rund zwanzig Jahren ihre heute 34-jährige Enkeltochter Emily. „Sie wollte immer viel von früher wissen. Und sie hat wohl auch gespürt, dass ich großes Heimweh hatte“, erinnert sich Irene Greschick. In ihrer Jugend absolvierte die Bauerntochter eine Lehre in Haus- und Landwirtschaft und besuchte anschließend eine höhere Handelsschule. Ihre Leidenschaft gehörte jedoch der Gesangsausbildung zur Opernsängerin, die sie nie abgeschlossen hat. „Meine Mutter hatte immer eine künstlerische Ader. Aber wir waren alle davon überrascht, wie ihr im hohen Alter die Geschichten aus der Feder flossen und sie sogar mit großer Begabung zu dichten begann“, erzählt Tochter Ines Junck (65).
Die Natur spielt bei Irene Greschik, die in Rossenthin bei Kolberg aufgewachsen ist, eine zentrale Rolle: Das Meeresrauschen der Ostsee schildert sie genauso eindringlich wie den Duft des Holunders im heimischen Garten. In ihren Geschichten wird Dogge „Dinah“, die für sechs verwaiste Ferkel zur Ziehmutter wurde, wieder lebendig. Und Storch „Emil“, den sie mit gebrochenem Bein und verletztem Flügel aufgepäppelt hat, wird ein liebevolles Denkmal gesetzt. „Als echte Landpomeranze war ich immer draußen in der Natur und hatte meine Hände in der Erde“, erinnert sich Irene Greschik lächelnd. „Doch die allerschönsten Erinnerungen habe ich an Spaziergänge am Meer, wenn der Sturm so richtig tost.“
Nach dem Tod ihres Mannes hat Irene Greschik die alte Heimat noch mehrmals zusammen mit ihrer Tochter Ines besucht. Bei diesen Gelegenheiten entstand auch das Foto, das den Einband des Buches schmückt. Tausend Exemplare ihres „Heimat“-Buches hat Irene Greschik damals drucken lassen. Sie hat über viele Jahre bei Familienfeiern genauso wie bei den Treffen der Pommerschen Landsmannschaft  daraus vorgelesen und viele Exemplare verschenkt.
Heute ist die niedergeschriebene Lebensgeschichte für die Mitarbeiter der Pflege in der Senioreneinrichtung eine große Hilfe, um mit Irene Greschik immer wieder über schöne Momente ihres Lebens ins Gespräch zu kommen. „Je mehr wir über die Biografie und die Vorlieben unserer Bewohner wissen, desto besser können wir sie in der Einrichtung begleiten“, sagt Wiebke Hansen (30), Leiterin der sozialen Betreuung in der Villa. „Für mich sind solch positive Erlebnisse wie mit Frau Greschik auch der Anlass gewesen, meine Eltern darum zu bitten, ihre Lebensgeschichten aufzuschreiben. Gerade im Falle einer Demenz ist so ein Dokument von unschätzbarem Wert.“
Besonders in Zeiten von „schlimmem Heimweh“ sind bei Irene Greschik die positiven Erinnerungen tröstlich und bilden eine Brücke ins Jetzt. Dann reicht ein Stichwort, auf das sie mit Inbrunst eines ihrer schönen Gedichte zitieren kann. Oder sie stimmt mit großer Freude ein Lied aus ihrer Jugendzeit an. „Das sind meine Wurzeln“, sagt sie und lacht.

Zur Übersicht