Der junge Dichter Lars Ruppel beeindruckte die Senioren und Schüler gleichermaßen mit seinen Texten.

 
03.07.2015

Gedichte sind wie Glückskekse

Der Dichter und Poetry-Slamer Lars Ruppel stellte in der Kursana Villa gemeinsam mit Gymnasiasten sein Projekt „Weckworte“ vor Oberursel. Die Verse von Schillers Lied von der Glocke sind im Gedächtnis wie fest gemauert und auch auf die Frage „Was wolltest Du mit dem Dolche? Sprich!“ aus der Bürgerschaft können sich viele Bewohner der Kursana Villa Oberursel einen Reim machen. Da staunen die jungen Besucher des Gymnasiums Oberursel nicht schlecht, als eine ältere Damen jenseits der 80 ganz locker den Erlkönig zitiert oder Teile von Fontanes Ballade von dem weisen Mann mit dem Birnbaum im Havelland fehlerfrei aufsagt.

Mit Gedichten scheint heute von der jüngeren Genration in Zeiten von Internet, Twitter, Facebook & Co kaum noch jemand verlinkt zu sein. Bei Lars Ruppel ist das anders. Der 30-Jährige bringt der Poesie eine große Wertschätzung entgegen. Der Dichter, Kabarettist, Texter und Deutsche Meister im Poetry Slam besuchte jetzt die Kursana Villa am Epinayplatz und stellte dort Senioren und Oberstufenschülern in einer Art Mehrgenerationen-Deutschstunde sein Projekt „Weckworte“ vor.

Lars Ruppel liebt Wortspiele und er hat seine Gedanken über Redensarten und Sprüche wie „Mein lieber Herr Gesangverein“ oder „Nicht schlecht, Herr Sprecht“ in gereimter Form in seinem Buch „Holger, die Waldfee“ mitunter absurd, aber immer handwerklich exakt aufgeschrieben. Mit seiner Initiative „Weckworte“ verfolgt der im hessischen Gambach bei Münzenberg geborene Sprachkünstler zwei Ziele: Einerseits sollen sich ältere Menschen, darunter auch an Demenz erkrankte, durch die alten Gedichte an früher erinnern, andererseits sagt der junge Dichter aber auch: „Ich möchte Senioren in Pflegeeinrichtungen neue Kultur bringen. Sie sollen nicht immer dieselben Gedichte aus ihrer Schulzeit hören“.

Es geht ihm um Abwechslung und Bereicherung im Alltag der älteren Generation mittels Sprache. Und Ansprache, denn Lars Ruppel geht auf die Senioren zu, kniet – immer wenn die Hochbetagten sitzen – bei der Begrüßung vor ihnen nieder und reicht ihnen respektvoll die Hand, bevor er ein Gedicht vorträgt. „Ich will die Poesie alltäglicher machen und die Gedichte zu den Menschen tragen“, sagt Ruppel. In der Kursana Villa hat er das mit Alt und Jung praktiziert.

Zuerst erlebten die 16- bis 18-jährigen Schüler des Deutsch-Grundkurses mit ihrer Lehrerin Kristin Weicht morgens einen beeindruckenden und zugleich spaßigen Workshop, bei dem Ruppel demonstrierte wie man ein Gedicht am besten vorträgt und welche Rolle Betonung, Gestik und Mimik dabei spielen. „Das war echt cool und überhaupt nicht langweilig“, sagt die 17-jährige Sandra. Sie und ihre 19 Mitschüler waren begeistert bei der Sache, wurden durch die jugendliche Sprache und die Scherze des Poetry-Slamers motiviert und waren in den kurzen szenischen Gedicht-Lesungen sehr kreativ. 

Diese besondere Deutschstunde mit dem sprachlich so lebendigen Gedichte-Liebhaber war trotz der Lacher bei den Schülern alles anders als flapsig. Der Deutschkurs im Pflegeheim hatte Tiefgang und brachte Respekt und Anerkennung vor der sprachlichen Leistung der Gedichteschreiber wie Heinz Erhardt, Wilhelm Busch oder Friedrich Güll (Vom Büblein auf dem Eis) zum Ausdruck. „Gedichte sind wie Glückskekse, die ihr verschenkt“, sagte der Meister seinen Schülern. Und die hatten auch schnell verstanden, um was es geht. 

Nach dem Workshop, bei dem die Teenager den Vortrag einiger Gedichte mit kurzen szenischen Darstellungen der Handlung einstudiert hatten, durften sie den Senioren zeigen, was sie gelernt haben. „Ihr habt von heute Morgen bis jetzt enorme Fortschritte gemacht“, lobte Lars Ruppel das Engagement der Schüler, die tatsächlich einige Passagen ihrer Gedichte aus dem Workshop bereits eine Stunde später schon ohne Blick aufs Papier auswendig vortragen konnten.

Der Dichter weiß, worin der Erfolg begründet liegt: „Wenn das Lernen Freude macht, geht es besser.“ Die rund ein Dutzend Bewohnerinnen der Kursana Villa saßen im Kreis und waren berührt von den Vorträgen der jungen Leute. „Von den Jungs ist ja einer schöner als der andere“, sagte eine ältere Dame mit einem Augenzwinkern. Berührt waren die Senioren auch im Wortsinn. 

Zur Begrüßung reichten die Jugendlichen den meist über 60 Jahre Älteren die Hand und auch beim großen Dankeschön mit Tucholskys Gedicht „Mutters Hände“ (Hast uns Stulln jeschnitten un Kaffe jekocht un de Töppe rübajeschobn un jewischt un jenäht . . . alles mit Deine Hände„) gab es einen herzlichen Händedruck für alle. Ebenso bei den Textversen eines Psalms, den die Schülerin Katharina mit sehr viel Empathie vortrug. Lars Ruppel und die jungen Leute haben dem erfahrenen Publikum in der Komfortpflegeeinrichtung durch den Gesang des Leides von der Loreley, die szenischen Darstellungen sowie die lustigen und nachdenklichen Reime ein breites Spektrum mit vielen Anknüpfungspunkten gegeben. So stellten die Schüler bei Kursana fest, dass jemand, der vermeintlich in seiner eigenen verschlossenen Welt lebt, doch auf einmal mit Worten geweckt werden kann und plötzlich hellwach ist.

Als es in einem Gedicht etwa um eine Kuh ging, reagierte eine ältere Dame, die früher in der Landwirtschaft gearbeitet hat, spontan. Neben den gereimten Erinnerungen, durch die viele aufblühten, waren die älteren Zuhörer aber auch einfach begeistert von dem unterhaltsamen Vormittag mit dem Künstler und den jungen Leuten vom Gymnasium, die nach ihrem Besuch in der Kursana Villa viele neue Erfahrungen mit nach Hause nehmen.

„Durch die Freude und Impulse, die die Bewohnerinnen bekommen haben, profitieren wir auch in der Pflege“, sagte eine Mitarbeitern von Kursana. Die Zusammenarbeit mit dem Gymnasium Oberursel soll keine Eintagsfliege sein. Weil die Begegnung von Jung und Alt für beide Seiten ein Gewinn war, denken Kursana und die Schule Oberursel über weitere Kooperationsmöglichkeiten nach. 

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