Nähe, die gut tut: Mit ihren beiden Enkeln Joschka R. (24, l.) und Niccolo V.(17) kuschelt Waltraud S. (87) auf ihrem schmalen Sofa.©Kursana

 
04.10.2016

Geliebte „Oma-Tage“

Der 17-jährige Gymnasiast Niccolo V. aus Reinbek begleitet seine demenziell erkrankte Großmutter Waltraud S. (87) in der Kursana Villa Reinbek.

Es war ein ganz besonderer Tag für Waltraud S. (87), als gleich zwei ihrer Enkel zu Besuch kamen. „Oma konnte gut einordnen, dass ich der `Kleine´ bin und Joschka der `Große´ aus Berlin“, freut sich Niccolo V. (17) beim Besuch in der Kursana Villa Reinbek, in der seine Großmutter seit fünf Jahren lebt. „Wir konnten uns auch prima über alles unterhalten: Über die schönen Blumen im Garten, ihre Aktivitäten in der Villa und über unser Privatleben. Sie hat nur ab und zu ihre Fragen an den Falschen gerichtet.“ Für den 17-jährigen Gymnasiasten aus Reinbek ist es mittlerweile normal, dass seine Großmutter immer mehr Dinge vergisst. Ihrer engen Bindung kann die beginnende Demenz allerdings nichts anhaben.

„Ich weiß noch, dass ich richtig erschrocken war, als meiner Oma vor drei Jahren zum ersten Mal mein Name nicht mehr einfiel“, erinnert sich Niccolo V.. Seit Waltraud S. 2008 von Berlin nach Reinbek gezogen ist, ist der Kontakt zu ihrem Enkel besonders intensiv geworden. „Unser `Oma –Tag´ an jedem Mittwoch wurde zu einem Ritual, das wir beide heiß und innig liebten“, erzählt Niccolo V.. „Anfangs hatte meine Oma in Reinbek noch eine eigene Wohnung, in der sie für mich nach der Schule Nudeln mit Tomatensauce kochte. Dann kontrollierte sie meine Hausaufgaben, und oft haben wir noch ein bisschen zusammen ferngesehen.“ Als Waltraud S. nach mehreren Stürzen und folgenden Krankenhausaufenthalten in die Senioreneinrichtung zog, wurde der „Oma-Tag“ kurzerhand ins Restaurant des „Sportparks“ verlegt, wo Niccolo V. damals einmal wöchentlich Tennis spielte.

„Während meine Oma heute noch viele Situationen mit meinem 1993 verstorbenen Opa genau wiedergeben kann, sind schon einige unserer gemeinsamen Erlebnisse verloren gegangen. Sie weiß zum Beispiel nicht mehr, dass wir früher auf einem Spielplatz zusammen Fußball gespielt haben, wenn sie aus Berlin zu Besuch gekommen ist“, erzählt Niccolo V.. „Es macht mir nichts aus, dass ich diese Geschichten dann immer wieder erzähle. Meine Oma kann sich jedes Mal aufs Neue darüber so freuen, dass es auch mich ganz glücklich macht.“ Dem Teenager hat im Umgang mit seiner demenziell erkrankten Großmutter geholfen, sich über die Krankheit zu informieren. Aber viel wichtiger für den Kontakt sei es, dass er ihre Veränderung nicht bewerte, meint Niccolo V.: „Meine Oma ist ein grunddurch liebevoller Mensch ohne jegliche Vorurteile. Sie hat mich niemals gemaßregelt und wirklich alles akzeptiert, was ich getan habe. Ich bin froh, dass ich ihr dieses Gefühl heute zurückgeben kann.“

Dass ihr Enkel mittlerweile die zwölfte Klasse der Sachsenwald-Schule besucht, weiß Waltraud S.. Dass er nach der Schule öfters im Café „Vintage“ gleich neben der Villa jobbt, vergisst die alte Dame jedoch immer wieder. Durch Schule und Nebenjob bleibt Niccolo V. heute nur noch alle eineinhalb Wochen Zeit für den geliebten gemeinsamen „Oma-Tag“, an dem die beiden klönen, Mensch-ärgere-dich-nicht spielen oder zusammen essen gehen. Sollte doch einmal der Tag kommen, an dem seine Oma ihn nicht mehr erkennt, ist er ganz zuversichtlich: „Aber wir umarmen uns viel und haben eine so tiefe emotionale Bindung, dass wir uns gar nicht fremd werden können.“

Außerdem sei seine Oma auch immer wieder gut für eine Überraschung, betont Niccolo V.. Beim gemeinsamen Besuch mit seinem „großen“ Cousin, bei dem die beiden jungen Männer die alte Dame zum Essen ausführten, hatte sie sogar die Farbe von Joschka R.s (24) Auto, das sie nur einmal zuvor gesehen hatte, parat: „Rot.“

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