Ute Bahr (81), Bewohnerin der Kursana Villa Reinbek, freute sich über die Gespräche mit den Schülerinnen Celia Molzahn (16, l.) und Hannah Kasper (16) über ihre Erlebnisse nach dem Zweiten Weltkrieg. ©Kursana

 
20.02.2018

„Jede freundliche Geste zählt“

Drei Schülerinnen der Sachsenwaldschule befragten Bewohner aus der Kursana Villa Reinbek zu ihren Erinnerungen an die Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg

Welche Erinnerungen bleiben, wenn ein so einschneidendes Erlebnis wie eine Flucht das eigene Leben aus der Bahn geworfen hat? Was kann dabei helfen, im neuen Alltag anzukommen? Und wie lassen sich Erfahrungen von einst für den Umgang mit heutigen Flüchtlingen nutzen? Im Rahmen eines Unterrichtsprojektes befragten Schüler der zehnten Klasse an der Sachsenwaldschule dazu Zeitzeugen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges auf der Flucht vor der Roten Armee ihre Heimat verloren haben. „Wir haben uns dafür interessiert, welche Emotionen die Flüchtlinge damals durchlebt haben“, erzählt Hannah Kasper, die zusammen mit ihren Mitschülerinnen Celia Molzahn und Charlotte Jaeger vier betroffene Senioren aus der Kursana Villa Reinbek interviewt hat. „Es war sehr beeindruckend, wie offen uns die Senioren von ihren Erinnerungen berichtet haben. Viele Erlebnisse verfolgen die Menschen immer noch und lösen bis heute beim Erzählen große Freude oder Trauer bei ihnen aus.“

Bewohnerin Ute Bahr (81), die bis zum achten Lebensjahr in der Nähe von Breslau aufgewachsen ist, hat den 16-jährigen Schülerinnen gern aus ihrem Leben erzählt. „Meine Eltern hatten für mich und meine beiden Schwestern im Herbst 1944 ein Keuchhusten-Attest besorgt, damit sie uns zu einer Tante in den Harz schicken konnten“, erzählt sie. „Als meine Eltern im Januar 45 mit einem Leiterwagen flüchteten, passte unser Besitz in einen Koffer. Meine Eltern haben uns Kindern nie viel davon erzählt, was sie auf der Flucht erlebt haben. Wir waren anfangs viel zu sehr damit beschäftigt, nicht zu verhungern.“ Der Verlust der Heimat und der Lebensperspektive hat ihre Familie geprägt, Ute Bahr kann wie viele ihrer Generation auf keine geradlinige Schulausbildung zurückblicken. In Erinnerung geblieben ist ihr aus dieser Zeit jedoch vor allem, wie sehr sich die Kinder über Schokolade, Bonbons oder halbvolle Marmeladendosen gefreut haben, die ihnen von amerikanischen und britischen Besatzern zugesteckt worden sind.

„Diese Dankbarkeit über Kleinigkeiten wie ein Kleidungsstück, etwas zu essen oder nur ein freundliches Wort zur Begrüßung ist uns in den Interviews immer wieder begegnet“, erzählt Celia Molzahn. Die Schülerinnen haben ihre Zeitzeugen-Interviews mittlerweile aufgeschrieben und hoffen, dass ihr Schulprojekt in Reinbek, wo nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Flüchtlinge heimisch geworden sind, ausgestellt werden kann. Sie sind davon überzeugt, dass man aus der Vergangenheit lernen kann, wie die Integration heutiger Flüchtlinge besser gelingen kann. „Niemand begibt sich ja freiwillig auf die Flucht aus seiner Heimat“, betont Hannah Kasper. „Wenn Menschen eine so extreme Situation durchleben, zählt jede freundliche Geste.“

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